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Völkerrecht: Wer wacht über die Wächter?

„Wir brauchen eine umfassende Reform der UN-Charta“

Der widerrechtliche Einmarsch Russlands in die Ukraine sorgt nicht nur weltweit für Entsetzen, er wirft auch die Frage auf, ob das Völkerrecht einen ausreichenden Schutz für angegriffene Staaten bieten kann. Worauf das Völkerrecht aktuell basiert, welche Erfolgsaussichten das gerade eröffnete Verfahren gegen Russland am Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat und welche völkerrechtlichen Änderungen nötig wären, um Gewalt zwischen Staaten in Zukunft besser bekämpfen zu können, erläutert Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer, wissenschaftlicher Leiter des KompetenzCentrum (KCW) für Wirtschaftsrecht der FOM Hochschule und Professor an den FOM Hochschulzentren Karlsruhe und Mannheim.

08.03.2022 | Karlsruhe und Mannheim

Herr Prof. Fischer, auf welcher Grundlage funktioniert das Völkerrecht und warum ist dies mit Blick auf die Ukraine nicht mehr ausreichend?

Hans-Jörg Fischer: Wesentliche Grundlage des Völkerrechts ist die UN-Charta, die nach dem 2. Weltkrieg als Satzung der Vereinten Nationen im Rahmen einer UN-Vollversammlung von damals 51 Gründungsstaaten unterzeichnet wurde. Die UN-Charta verbietet militärische Gewalt gegen andere Staaten, mit zwei Ausnahmen: Es besteht das Recht auf Selbstverteidigung und es gibt das Sanktionssystem des UN-Sicherheitsrates. Da Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion Mitglied der UNO sowie als Siegermacht nach dem 2. Weltkrieg ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist, gilt dieses Gewaltverbot also auch für Russland. Damit ist der Krieg gegen die Ukraine ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht.

Seit Montag läuft ein Verfahren gegen Russland am Europäischen Gerichtshof in Den Haag. Was kann ein entsprechendes Urteil gegen Russland bewirken?

Hans-Jörg Fischer: Im Grunde nichts. Der IGH ist zwar das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, de facto aber er hat keine Machtmittel, um Urteile durchzusetzen. Es gibt schlichtweg keine Instanz dafür. Um der Ukraine militärisch beizustehen, bedarf es einer Resolution des UN-Sicherheitsrates mit der Zustimmung von mindestens neun Mitgliedern, einschließlich sämtlicher fünf ständigen Mitglieder, also der alten „Siegermächte“ – dies hat Russland qua Vetorecht schon Ende Februar erfolgreich verhindert. Völkerrechtlich gibt es aktuell also keine Ermächtigung, in diesem Krieg militärisch einzuschreiten.

Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer (Foto: Mike Henning/FOM)

Was müsste sich ändern, um solche Situationen in Zukunft auch völkerrechtlich besser regulieren zu können?

Hans-Jörg Fischer: Wir brauchen dringend eine umfassende Reform der UN-Charta wie auch der UNO selbst. Die Vereinten Nationen haben die Charta 1945 unterzeichnet, damals herrschte eine komplett andere Weltordnung als es heute der Fall ist. Seitdem haben weit mehr als 200 Vetos der Siegermächte bei Konflikten und Kriegen gezeigt, dass das Vetorecht im Sicherheitsrat keine gute Lösung war. Doch vor dem Hintergrund, dass für Reformen sowohl eine Zweidrittelmehrheit in der UN-Generalversammlung als auch die Einwilligung der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat nötig sind, haben wir noch einen langen Weg vor uns.

Das Interview führte Silke Fortmann